Facetten einer Stadt zwischen Antike und Futurismus – Valencia
Valencia – mediterrane Stadt an Spaniens südöstlicher Mittelmeerküste, mit fast 800.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt des Landes – ist unser Reiseziel, weil wir endlich einmal Santiago Calatravas spektakuläre Bauten im Original sehen wollen. Dabei ist uns bis dahin nicht bewusst, dass die Stadt darüber hinaus noch viel mehr zu bieten hat.
Die stadtgeschichtliche Entwicklung
Mit einem großen Teil des Landes – insbesondere im Süden – verbindet Valencia eine gemeinsame historische Entwicklung, die sich in der Stadtgestalt abbildet. Sie beginnt mit der römischen Siedlungsgründung im 2. Jahrhundert v. Chr. auf dem Gebiet der heutigen Altstadt im Bereich der Kathedrale. Von der ab etwa dem 7. Jahrhundert über 500 Jahre währenden maurischen Herrschaft haben sich im Wesentlichen nur einige Mauerreste der Stadtbefestigung erhalten. Die im 13. und 14. Jahrhundert nach der Rückeroberung durch christliche Könige errichtete Stadtmauer umfasste schon eine dreifache Fläche und wurde erst mit der planmäßigen Stadterweiterung Mitte des 19. Jahrhunderts abgerissen. Die im 15./16. Jahrhundert errichtete Seidenbörse ist Zeugnis der regen Handelstätigkeit und wirtschaftlichen Blüte im Mittelalter. Als bedeutendster spätgotischer Profanbau in Valencia wurde das Ensemble zum Weltkulturerbe erklärt.
Stil des Modernisme
Mit der Industrialisierung und einhergehendem Bevölkerungszuwachs im späten 19. Jahrhundert entstand – ähnlich wie in Barcelona – eine neue schachbrettartig angelegte großbürgerliche Quartiersbebauung mit breiten Straßen im Anschluss an die Altstadt im sog. Stil des Modernisme. Es ist die Stilrichtung im katalanischen Raum von ca. 1885 bis 1920, die sich zeitgleich mit z. B. dem Jugendstil in Deutschland oder der Wiener Secession in Österreich entwickelte. Sein bedeutendster Vertreter war Antoni Gaudí in Barcelona. Ein Merkmal waren die sog. Trencadís, Mosaike aus unterschiedlich großen Bruchstücken keramischer Fliesen zur Fassadendekoration. Ihr Ursprung liegt in der maurischen Handwerkskunst.
Hohe Stadtbaukunst
Durch die von herrschaftlichen, bis etwa zehngeschossigen Gebäuden gesäumten, begrünten Straßenräume zu bummeln und sich an den unterschiedlichen Fassaden, die dennoch eine geschlossene Einheit bilden, nicht satt sehen zu können – das vermag hohe Stadtbaukunst. In Valencia sind es Architekten, die bei Antoni Gaudí in Barcelona und Otto Wagner in Wien in die Schule gingen, denen die Umsetzung meisterhaft gelungen ist. Geschäfte, Cafés, Restaurants in den Erdgeschosszonen, raumhohe Fensteröffnungen in den Wohngeschossen, Erker, Balkone, Loggien, Plastiken und Stuckelemente an den Fassaden, repräsentative Eingänge, eine Steigerung der Gebäudehöhen an den jeweiligen Quartiersecken – schönste Einheit von Architektur und Städtebau. Dazu die „Highlights“: der Nordbahnhof (Estacio de Norte – überraschend im Süden der Altstadt gelegen), die Markthallen Mercado Central und Mercado de Colón.
Stadt der Künste und der Wissenschaften
Aber wir sind ja vor allem wegen der spektakulären Bauten des in Valencia geborenen und weltweit durch seine Arbeiten berühmt gewordenen Architekten und Künstlers Santiago Calatravas hier. Die „Stadt der Künste und der Wissenschaften“ ist zunächst als größter in Europa in den vergangenen Jahren gebauter Kultur-, Bildungs- und Freizeitkomplex ein gigantisches städtebauliches Projekt. Es bildet auf einer Fläche von ca. 35 Hektar den Höhepunkt des Parks Túria, der im trockengelegten Bett des einst die Stadt durchquerenden Flusses seit den 1980-er Jahren angelegt wurde. Verursacht durch ein verheerendes Hochwasser im Oktober 1957 fiel die Entscheidung seiner Verlegung aus der Stadt. Die Entscheidung für eine Parkanlage anstelle einer Autobahn fiel jedoch erst etwa 25 Jahre später aufgrund massiver Bürgerproteste. Heute sind 12 km lange Grün- und Freizeitanlage – die größte zusammenhängende Parkanlage Europas – vollständig landschaftsgärtnerisch gestaltet. Kultur-, Spiel- und Sporteinrichtungen befinden sich hier. Getrennte Wegeführungen für Fahrradfahrer, Jogger und Spaziergänger sorgen für konfliktfreie Nutzungen.
Spannungsvoll und futuristisch
Von den spannungsvollen, futuristisch anmutenden Gebäudeformen muss sich wohl jeder selbst ein Bild machen. Große Wasserflächen stellen zwischen ihnen eine Verbindung her. Sie erinnern an den Túria-Fluss und bieten besonders bei nächtlicher Beleuchtung einen Spiegel für die Baukörper.
Der Kunstpalast
Bauliche Einfassungen der Wasserflächen, Bänke, architektonische Details sind innen wie außen in Anlehnung an die valencianische Tradition mit gebrochenen Keramikfliesen belegt. Der Kunstpalast wurde nach 10 Jahren Bauzeit 2006 fertiggestellt. Seine gesamte Oberfläche besteht aus weißen, industriell gebrochenen, keramischen Fliesen, die dem Baukörper im Sonnenlicht einen ganz eigenen sanften Schimmer verleihen. Oper-, Konzert- und Ballettaufführungen finden hier statt.
Futuristischer Bau „Hemisféric“ – entworfen von Santiago Calatrava
Kino und Planetarium sind im 1998 eröffneten „Hemisféric“ untergebracht. In geöffnetem Zustand und sich in der Wasserfläche spiegelnd, wirkt es wie ein menschliches Auge. Aus anderer Perspektive könnte man es aber auch als ein untergehendes Ufo interpretieren. Museum der Wissenschaften, ein riesiges Schattendach („L‘ Umbracle“) als botanischer Garten und Eingangsgebäude, Kulturforum Agora, Brückenbauwerk, Ozeanografischer Komplex mit Unterwasserstadt und größtem Aquarium Europas (Architektengemeinschaft um Félix Candela) schließen sich an.
Die Hafenanlage an der ehemaligen Mündung des Túria
Stadtplanerisch ist mit der Lage der „Stadt der Künste und der Wissenschaften“ an der ehemaligen Mündung des Túria auch eine Annäherung an die völlig umgestaltete Hafenanlage verwirklicht, die sich – initiiert durch die internationale Segelregatta America‘s Cup – zu einer attraktiven Sport-, Vergnügungs- und Freizeitzone entwickelt hat. Markantestes Bauwerk und Wahrzeichen des Hafens ist das Gebäude Veles e Vents (Segel und Wind) des Architekten Davis Chipperfield.
Das ehemalige Fischerdorf Cabanyal
Cabanyal heißt das ehemalige Fischerdorf, das sich entlang der unendlich scheinenden, breiten, weißen Sandstrände im Osten von Valencia erstreckt und die Kernstadt vom Meer – abgesehen vom Hafengelände – trennt. Das städtebauliche Projekt, eine weitere Verbindungsachse zwischen Stadt und Meer zu schaffen und die vielfach unter Denkmalschutz stehenden Fischerhäuser abzureißen, scheiterte (zum Glück) an einer Bürgerinitiative. Stadtstrukturell unterscheidet sich Cabanyal grundlegend von der Innenstadt. Vorwiegend 2- bis 3-geschossige, geschlossene Häuserzeilen säumen die kilometerlangen Straßen, die nur von kurzen Querstraßen unterbrochen sind. Sie bilden äußerst schmale Quartiere, so dass die Grundstücke kaum über Hof oder Garten verfügen.
Schrittweiser Wandel
Prekäre soziale Verhältnisse sind in Cabanyal überall sichtbar und zeigen eine weitere Facette der Großstadt. Noch vor Jahren war der Stadtteil von hoher Kriminalität geprägt. Davon ist zumindest für uns nichts mehr zu spüren. Cabanyal, so scheint es, ist im Wandel begriffen. Öffentliche Sport- und Spielanlagen sowie eine großzügige, landschaftsgärtnerisch gestaltete, kilometerlange Strandpromenade sind entstanden. Wurden Lücken noch vor Jahren mit bis zu 8-geschossigen Gebäuden geschlossen („Einfügung in die nähere Umgebung“ ist wohl nur eine deutsche Regel…), so werden inzwischen mehr und mehr Häuser liebevoll restauriert. Denn auch hier sind die Merkmale des Modernisme – besonders der Fassadenschmuck aus Fliesenmosaiken, „französische Fenster“, Balkone, schmiedeeiserne Brüstungselemente – vorhanden.
Valencia – Stadt der Superlative
Valencia – die unbedingt sehenswerte Mittelmeermetropole hat viel mehr Facetten zu bieten als in einem Reise-Blog sichtbar gemacht werden können. Sie ist eine Stadt der Superlative: 2022 wurde sie zur Welthauptstadt des Designs und zur Hauptstadt des intelligenten Tourismus gekürt. 2024 wird sie den Titel „Grüne Hauptstadt Europas“ tragen. Gründe sind auch für uns Touristen leicht erkennbar: Der U-Bahn-Anschluss des Flughafens an die Stadt, eine Vielzahl von gut markierten, getrennt von anderen Verkehrsteilnehmern verlaufenden Fahrradwegen, Ampeln, die dem Fußgänger offensichtlichen Vorrang bieten, der gut ausgebaute öffentliche Personennahverkehr, bestehend aus U-Bahn, Straßenbahn, Bus; das intelligente, papierlose und sehr preiswerte Bustickettsystem, autofreie, grüne Plätze und Straßen, natürlich die starke Durchgrünung durch Parkanlagen wie den Túria-Park, kostenlose Sport- und Freizeitangebote.
Fazit
2030 will die Stadt komplett CO2-neutral und ein Modell für nachhaltige Stadtentwicklung sein. Zusammengefasst: Valencia ist eine Reise wert!